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Bindung auf den zweiten Blick

Meine liebe Kollegin Iris Steger schrieb in ihrem Blogartikel „Hilfe, meinem Baby ist langweilig!“ von der „Geheimwaffe Bindung“.
„Wichtiger als alles Spielzeug auf der Welt ist im ersten Lebensjahr Bindung.
Bindung ist die tolle Wunderwaffe, mit der du dein Kind fürs Leben stark machen kannst. Ein Fundament fürs anstrengende Erwachsenenleben…“
Ich denke, dem stimmen wir alle 100%ig zu und sind uns absolut einig darin, wie wichtig Bindung ist – für unsere Kinder und auch für uns. Dem Bonding nach der Geburt wird in den vergangenen Jahren mittlerweile in fast allen Krankenhäusern und Kliniken immer mehr Aufmerksamkeit und Raum geschenkt.
Was aber, wenn diese wichtigen Minuten und Stunden nach der Geburt nicht der gewünschten und erhofften Bilderbuch-Idylle entsprechen?? Was, wenn Mutter, Vater und Baby sich erst Minuten bzw. Stunden, im schlimmsten Fall erst Tage später sehen, hören, riechen und vor allem spüren?? Ist der Bindungs-Zug dann abgefahren? Natürlich nicht!!
Lasst mich ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern. Ich bin Mutter von 2 Bauchgeburt-Kindern. Mein Großer kam im November 2014 per Sectio wegen BEL und beginnender Präklampie zur Welt. Da ich mich schon während der Schwangerschaft mit William Sears Buch „Das Attachement Parenting Buch – Babys pflegen und verstehen“ beschäftigte, hatte ich eine genaue Vorstellung davon, wie ich das Bonding gestalten wollte. Er war nur wenige Sekunden bei der Hebamme und dann auf Papas Arm, der direkt neben mir saß. Ich konnte ihn sehen und berühren und oh mein Gott, ….er war sooo wunderschön und roch so gut! Schnell hatte ich ihn dann auch auf meiner Brust liegen und wir konnten ausgiebig kuscheln. Zurück auf Station wollte ihn die betreuende Hebamme eigentlich ankleiden, akzeptierte aber dann auch mit wohlwollendem Lächeln unseren Wunsch ihn doch bitte bis auf die Windel nackt zu lassen. Und so verbrachten wir 3 dann auch den Rest des Tages, nackt kuscheln in unserem Familienzimmer So hatten wir zwar keine Traum-Geburt – aber ein traumhaftes Bonding.
Auch meine Tochter wurde im August 2017 per Bauchgeburt geboren. Aufgrund einer Blutgruppenunverträglichkeit musste sie allerdings leider bereits bei 35+0 geholt werden da der berechtigte Verdacht einer Anämie bestand. Wir hatten nur wenige Stunden Zeit uns darauf vorzubereiten. Und es war klar, dass diesmal kein sofortiges Bonding möglich war, da sie sofort auf die Neugeborenen-Intensivstation kommen sollte. Und während im Vorgespräch eigentlich die Rede davon war, dass zumindest mein Mann unseren kleinen hilflosen Schatz begleiten sollte, kam es dann noch ganz anders. Kaum war sie da, war sie auch schon weg. Einfach weg. Ich weiß noch, wie ich auf diesem kalten OP-Tisch lag und nur noch fassungslos vor mich hin weinte. Auch mein Mann stand ungläubig und hilflos daneben. Als er schon wieder rausgeführt wurde, kam jemand (ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr ob es die Hebamme, eine OP-Schwester oder die Kinderärzte waren) und ich durfte das erste Mal einen Blick auf mein Mädchen werfen. Ich durfte kurz ihr Gesicht streicheln und dann war sie auch schon wieder weg. Schon wieder!
Als mein Mann und ich später wieder im Kreissaal-Bereich auf dem Zimmer waren, fühlte ich mich einfach unendlich leer und emotionslos. „Glückwunsch“ sagte ich zu meinem Mann. „Du bist gerade nochmal Papa geworden.“ „Hmmm….“war die Antwort meines Mannes, in der auch seine ganze Verzweiflung und Traurigkeit zu hören war. Ich kam mir vor wie in einem schlechten Film. Verdammt, ich hatte gerade ein wunderschönes kleines Mädchen geboren, unser kleines großes Wunder, und sie lag da jetzt alleine ohne uns ein paar Zimmer weiter und wir hatten keine Ahnung was sie mit ihr machten und wie es ihr ging. Da verstand ich das erste Mal in meinem Leben den Satz „Und die Zeit stand still!“.
Nach endlosen anderthalb Stunden durfte dann endlich mein Mann zu ihr!! Endlich durfte sie eine vertraute Stimme hören und seine Nähe spüren. Ich war soo erleichtert. Aber natürlich wollte ich selber auch zu ihr und mich davon überzeugen, dass es ihr gut ging und vor allem, um ihr zu zeigen, dass wir für sie da waren! Die Vorstellung, dass sie sich von uns verlassen fühlen konnte, brachte mich schier um den Verstand. Durch meine Ausbildung zur BabySteps Kursleiterin bei Einfach Eltern im Herbst 2015 wusste ich jetzt ja noch mehr als schon bei meinem Sohn über das Thema Bindung. Und ja, es war Segen und Fluch zu gleich!! Ich bin sowieso ein doch recht verkopfter Mensch, der manchmal (okay…eigentlich ziemlich oft 😉) über zigtausend Ecken denkt und sich das Leben dadurch manchmal selber erschwert. Was, wenn sie weint und niemand sie tröstet??? Sie weiß doch gar nicht wo sie ist und warum sie ihr kleines gemütliches Einzimmerappartement so früh verlasen musste! Ich machte mir tatsächlich weniger über ihre physischen Probleme Gedanken, sondern viel mehr, wie sie das Ganze wohl psychisch verkraften würde. Während es bei meinem Sohn ehrlich gesagt ein paar Tage dauerte, bis ich wieder richtig auf meinen beiden Beinen stand, so setzte das Adrenalin ungeahnte Kräfte in mir frei und ich stand bereits 4 Stunden später wieder neben meinem Bett. Dies war auch die Vorrausetzung um zu ihr gebracht zu werden.

Und dann stand ich also, fast 5 Stunden nach der Geburt, neben einen in Blaulicht und Alufolie getauchten Kasten auf der Neugeborenen-Intensivstation, in dem meine Tochter lag. Sie trug eine Augenbinde und hatte verschiedene Schläuche an sich. Jetzt erst wurde mir das Ausmaß der Blutgruppenunverträglichkeit bewusst. Warum? Warum nur musste das passieren? Bis ich sie da so liegen sah, hatte ich noch die Vorstellung, dass ich sie jetzt endlich in meine Arme schließen konnte. War mir doch das "Känguruhen" bei Frühgeborenen ein Begriff. In unserem Fall war das allerdings leider nicht möglich. Da meine, in der Schwangerschaft gebildeten Antikörper doch einige von ihren roten Blutzellen zerstört hatten, litt sie an einer sehr ausgeprägten Neugeborenen-Gelbsucht, die auch eine Bluttransfusion nötig machte und sie die ersten Tage 24 Stunden mit den Speziallampen bestrahlt werden musste. Darauf war ich nicht eingestellt!! Ich kam mir vor wie in einem Boxkampf, bei dem immer wieder aus verschieden Richtungen eine Faust angeflogen kommt. Statt innigem kuscheln und küssen konnte ich sie lediglich sanft streicheln und mit ihr reden.

Und dann funktionierte ich einfach nur noch. Essen, pumpen, Milch runterbringen, Werte abfragen, schlafen, essen, pumpen, Milch runterbringen………Und natürlich sonst jede freie Sekunde bei meiner kleinen tapferen Kämpferin sein!! Und da war es tatsächlich ein Segen, dass ich mich auch schon beruflich mit dem Thema Bonding auseinandergesetzt hatte. Okay, ich konnte sie nicht kuscheln und wir konnten uns auch tatsächlich die ersten Tage nicht in die Augen blicken, aber ich konnte sie zumindest berühren und durch meine Stimme Bindung aufbauen. Also las und sang ich ihr vor.

In unserer Ausbildung erzählte uns Frauke, dass bereits nach 20 Sek. inniger Berührung wie z.B. sich umarmen, Oxytocin ausgeschüttet wird – DAS Bindungshormon. Am dritten Tag nach der Geburt kam ich dazu, wie sie das Bettchen frisch machen wollten. Ich wurde gefragt, ob ich sie solange hochheben könnte. Was für eine Frage!! Und dann kam er endlich, der befreiende und reinigende Moment!! Als ich meine Kleine das erste Mal mit ihrem ganzen Körpergewicht auf meinen Armen spürte und das erste Mal in ihre wunderschönen Augen blicken konnte, wurden all die Emotionen freigesetzt. Da stand ich, in einem Oxytocin-Rausch, zitternd und weinend aber gleichzeitig auch mit dem sicheren Gefühl, dass alles gut werden würde. Sicher, dass ich mir um eine fehlende oder gestörte Bindung zu meinem Kind keine Sorgen machen muss!!

Eine Woche später durften wir gemeinsam auf die normale Neonatologie umziehen. Nun waren wir fast 24 Stunden zusammen. Ich wurde jetzt mehr in die Pflege mit einbezogen und durfte sie selber wickeln und füttern. Und in den kurzen Bestrahlungspausen konnten wir nun auch endlich das Stillen üben.

Wir mussten noch knapp 4 Wochen auf der Neo verbringen. Die bestrahlungsfreien Zeiten wurden immer länger und mit jedem Kuscheln und Schmusen im Bett wuchsen wir mehr und mehr zusammen und stärkten so unsere gegenseitige Bindung.

Das Ganze liegt nun fast 10 Monate zurück und manchmal bin ich immer noch selber über mein kompetentes kleines Mädchen erstaunt und überrascht, wie gut sie den doch sehr holprigen Start ins Leben gemeistert hat. Wobei ich auch felsenfest davon überzeugt bin, dass uns all die bindungsfördernden Werkzeuge wie Stillen, Tragen und Familienbett mit Sicherheit auch dazu verholfen haben, das in den ersten Tagen nicht optimal verlaufende Bonding zu kompensieren.

Für Bindung ist es nie zu spät!! Und wenn, wie in unsrem Fall nicht auf den ersten, dann auf jeden Fall auf den zweiten Blick!!